Das Leben an Bord von U 32 (2024)

Die bislang längste Reise des modernsten deutschen U-Boots beginnt am Marinestützpunkt Eckernförde. Das Ziel der Männer von U 32: Ein US-Flugzeugträger jenseits des Atlantiks. Wird das deutsche U-Boot alle Sicherheitsringe durchbrechen? Ein Fahrtbericht.

An der Pier des Marinestützpunktes Eckernförde liegt das U-Boot U 32 fest vertäut. Soldaten stehen auf dem Rumpf und rauchen. Die Ostsee ist an diesem Morgen Anfang Januar still wie ein Teich, die Sonne strahlt auf den dunklen, 56 Meter langen Rumpf, der aus dem Wasser ragt. Diesmal geht es nur auf die Ostsee raus - ein aufregendes Erlebnis für die mitreisenden Journalisten, Routine für die Besatzung und 36-jährigen Kommandant Christian Moritz.

Später wird es ernst: Am 10. Februar legt U 32 in Eckernförde ab, um als erstes Boot der modernen Klasse 212 A mit nur einem Zwischenstopp auf den Azoren den Atlantik zu queren - zu einem ebenso anspruchsvollen wie prestigeträchtigen Manöver "Westlant Deployment" mit der US-Marine, das voraussichtlich im März beginnen wird.

Auch wenn es niemand offen sagen will beim vorbereitenden Tauchgang mit Gästen an Bord in der Ostsee: In den Hinterköpfen spukt die Erinnerung an die legendäre Übung JTFEX 01-2. Damals, im Jahr 2001, gelang es dem deutschen Boot U 24 der Vorgängerklasse 206, alle Sicherungen um den Flugzeugträger "USS Enterprise" unbemerkt zu durchbrechen und neben dem Stahlkoloss unter Wasser grüne Signalmunition hochzuschießen - das Zeichen für einen Treffer.

"U 24 hätte den Flugzeugträger rammen können, so nah dran war das Boot", erzählt ein U-Bootfahrer. Ein Torpedoangriff wäre im Ernstfall aus größerer Entfernung erfolgt, "wir wollten nur zeigen, was unsere modernen konventionellen U-Boote können".

U 32 stellte 2006 einen Weltrekord auf, als es zwei Wochen unter Wasser blieb. Tatsächlich sollen die modernen Boote dank des von HDW entwickelten außenluftunabhängigen Brennstoffzellenantriebs (mit Wasserstoff und flüssigem Sauerstoff) Presseberichten zufolge mindestens 18 Tage tauchen können. Bestätigen will das niemand. "Die technische Tauchdauer ist dank der Brennstoffzelle nicht der limitierende Faktor, sondern die Besatzung und die Verpflegung", wird Korvettenkapitän Moritz später verschmitzt lächelnd an Bord sagen.

Die Mannschaft nimmt auf der Pier vor U 32 Aufstellung, so ist das bei jedem Einsatz. "Guten Morgen, Besatzung", sagt der Kommandant. "Guten Morgen, Herr Kapitän", klingt es rau zurück. Nach Erläuterungen zum Tagesablauf folgt schließlich der Befehl "Besatzung auf Manöverstation".

Eine Luke und 28 Erwachsene

Über eine schmale Rollbrücke geht es an Bord. Ein enger Schacht mit fest verankerter Stahl-Trittleiter führt ins Bootsinnere, mit dem Rücken kann man sich an der Schachtwand prima abstützen. Über eine andere senkrechte Trittleiter klettern der diensthabende Wachoffizier und Moritz auf den Turm. Über Funk sind sie verbunden mit der Kommandozentrale unten im Boot, überwachen mit ihren Augen zusätzlich, was Radar und Sonar ohnehin an Daten liefern.

Nach einer "Verständigungsprobe" und einer "Standprobe" des Propellers (Schiffsschraube) legt U 32 ganz behutsam ab. Im Boot selbst ist nichts zu spüren oder zu hören: Keine Bewegung, keine Fahrgeräusche. Sind wir schon unterwegs? Das Boot gleitet längst aus dem Hafen in die Eckernförder Bucht.

In der Zentrale des U-Boots, einem rechteckigen Raum mit zahlreichen fest montierten Monitoren an den Wänden, arbeiten bis zu 15 Besatzungsmitglieder, einige tragen Kopfhörer. Im Boden sind graue Ledersessel verankert. Die Atmosphäre erinnert an einen Fluglotsen-Tower ohne Fenster. Licht spenden - wie überall im Boot - Neonröhren, geschützt mit explosionssicherem Glas.

"Besatzung auf Tauchstation", befiehlt der Kommandant, und die Männer wiederholen das Kommando im Chor. "Fluten", "Fluten". Hoch konzentriert arbeiten die Männer, sagen laut, was sie gerade tun oder was sie beobachten und feststellen: "Boot wird eingesteuert", "Sehrohr" - es fährt lautlos in der Mitte der Zentrale hoch und bietet noch in 13,5 Metern Tiefe einen Überblick über das Geschehen an der Oberfläche. "Sportboot in 2500 Metern", "Wie weit ist der Tender?" "Dreht schon wieder ab, kannst' vergessen".

Erinnerungen an "Das Boot"

"Wollen Sie mal schauen?" fragt Moritz. Beim Blick durch eines der beiden Sehrohre stockt einem fast der Atem. Gestochen scharf ist der zwei Kilometer entfernte Campingplatz am Ostseeufer zu erkennen: Wohnwagen, Tische, Bäume, praktisch jedes Detail. "12facher Zoom", sagt Moritz. Vor allem nachts kann das Umschalten des Sehrohrs auf Wärmebild Erkenntnisse liefern. Ein Frachter erscheint wie geröntgt. Der heiße Bereich der Maschine und des Schornsteins sehen aus wie schwarze Flächen, die kühleren Schiffsbereiche erscheinen heller.

Wenn das Boot tiefer als Sehrohrtiefe taucht, ist die Besatzung allein auf die hochmoderne Sonaranlage angewiesen, um zu erfahren, was sich an der Wasseroberfläche abspielt. "Wir sind halt blind, aber nicht taub", sagt Sonarmaat Arno Lawida. Der 26-jährige Obermaat und gelernte Elektroniker stammt aus der Nähe von Bonn. "Ich wollte immer zu den U-Booten."

Warum? Natürlich kennen sie alle den Film "Das Boot", basierend auf dem Roman des früheren Kriegsberichterstatters Lothar-Günter Buchheim über seine Erfahrungen auf einem U-Boot im Zweiten Weltkrieg. "Das war eine ganz andere Zeit", sagt Lawida. Ihn reizt die kleine Besatzung, 28 Mann, "das ist wie eine Familie, jeder muss die Sicherheit für das Boot mit gewährleisten."

Unter Wasser kein Handy-Empfang

"Wie eine Familie", dieser Vergleich wird immer wieder angestellt, und es fallen die Worte "Zusammenhalt", "Kameradschaft". "Auch wenn man sich natürlich irgendwann auf den Sack geht", sagt Hauptbootsmann Timo Rösemann (28), dessen längster Törn dreieinhalb Monate dauerte. Handys und Internet funktionieren nicht unter Wasser, da fiebert man dem nächsten Landgang entgegen.

Lawida sitzt auf einem der drei Sessel für die Sonarmaate und den Sonarmeister. Sechs Monitore in zwei Reihen sind an der Wand befestigt. Lawida überwacht einen Monitor mit grünlichem Display, Punkte und Linien spiegeln das Geschehen an der Wasseroberfläche.

"Wollen Sie mal hören?" Ohne die Antwort abzuwarten, stellt einer den Sonarton des georteten Sportbootes laut, ein heller Ton ist zu hören. Große Schiffe klingen dunkler. Die Besatzung von U 32 bleibt entspannt, Routine.

Ganz anders als im Zweiten Weltkrieg

Die Aufgaben in der Zentrale sind klar eingeteilt. Zum Bereich "Operation" gehören die Navigation und das Führungs- und Waffenleitsystem. Sollte im Ernst- oder Übungsfall ein Torpedo abgeschossen werden, kann er noch danach über einen Lichtwellenleiter gesteuert werden.

Zwei Konsolen dienen zum automatischen Transport der Torpedos im Boot und nach dem Abschuss - anders als im Zweiten Weltkrieg, als die Besatzung mit Muskelkraft die Torpedos in die Torpedorohre bugsierte und bange Sekunden mitzählte, ob ein abgefeuerter Torpedo das Ziel traf oder verfehlte.

Herzstück der "Schiffstechnik" in der Zentrale ist der integrierte Leit- und Lenkstand U-Boot (ILLU) zur Überwachung und Steuerung der Schiffstechnischen Anlagen, bestehend aus drei Konsolen und dem Lenkstand, von dem aus Kurs und Tiefe des Bootes gesteuert werden.

Büroatmosphäre unter Wasser

Im äußersten Notfall müsste die Besatzung das Boot unter Wasser verlassen. Jeder an Bord hat einen orangen Rettungsanzug, der auch den Kopf umschließt. Darunter schützt eine Neoprenhaube. "Bis zu 24 Stunden kannst Du damit in zwei Grad kaltem Wasser überleben", sagt Rösemann. Jedes Jahr üben die U-Bootfahrer den Aufstieg aus 33 Metern im "Tieftauchtopf", einem speziellen Tauchbecken in Neustadt in Schleswig-Holstein, Kreis Ostholstein. Zum Rettungsanzug gehören ein
Funkgerät und eine kleine Pressluftflasche für den Auftrieb.

Platzangst kommt nicht auf in dem U-Boot. Der Hauptgang ist breit und hoch genug, um aneinander vorbeizugehen. Den Kopf muss niemand einziehen, Deckenhöhe geschätzt zwei Meter. Nur einige niedrige Durchgangstüren zwingen zum Bücken. Die Luft ist nicht stickig, heiß oder verbraucht, es herrscht eher wohltemperierte Büroatmosphäre. "Auf Tauchfahrt ist das Klima sogar angenehmer als wenn das Boot über Wasser geöffnet ist - es kann in heißen feuchten Gegenden im U-Boot transpirieren", erzählt Rösemann.

Endlose Langeweile und Dumpfsinn auf dem Atlantik hat Buchheim als typische U-Boot-Erfahrung beschrieben. ("Einen Furz lassen, das ist hier schon alles, was genehm ist"). Dagegen betont Moritz, dass es genügend an Bord zu tun gibt und im Schichtdienst gearbeitet wird. Aber er räumt ein: "Für keinen an Bord gibt es eine Privatsphäre."

Zwei Quadratmeter Luxus

Immerhin: Eine eigene Koje hat fast jeder, nur die Unteroffiziere müssen sich eine im Schichtwechsel teilen. Zwei Meter lang, 60 Zentimeter breit sind die Betten. Drei Kojen übereinander dicht an dicht, insgesamt acht Kojen in jedem Schlafbereich. Als einziger hat Korvettenkapitän Moritz ein eigenes "Zimmer". Die Kommandantenkammer dürfte auf nicht viel mehr als zwei Quadratmeter Grundfläche kommen: Koje, kleiner Tisch, Spind.

Zentrale und Unterkünfte befinden sich im Hauptdeck, die Kombüse im Zwischendeck. Es ist Mittagszeit. Der 26-jährige Smut Stefan Raddatz hat sich ins Zeug gelegt: Gulaschgeruch wabert aus der offenen Kombüse. Dazu gibt's Spiralnudeln, gemischten Salat und als Nachtisch Gries mit Pflaumenkompott. Die Essensportionen sind vor jeder Fahrt exakt berechnet. Was die Kameraden am liebsten mögen? "Hauptsächlich Fleisch und davon möglichst viel", sagt Raddatz.

Drei Stahlleitern führen hinauf zum offenen Turm. Im blauen Marine-Parker trotzen dort Moritz und der wachhabende Offizier der Kälte. Konzentriert haben sie die wenigen Schiffe im Blick. Kommandos gehen per Funk an den Leitstand im U-Boot. Der Blick von hier oben über die See ist majestätisch: Sonnenschein, wenige Wolken am blauen Himmel.

Hinterm Turm flattert im Wind die schon ein wenig zerschlissene deutsche Flagge. "Jeder Kommandant hat eine einzige Fahne in seiner Amtszeit", erklärt Moritz. Gebrauchsspuren sind also ein Zeichen vieler Einsätze. An dem hölzernen Fahnenstock weht außerdem ein schmales weißes Band mit Bundeswehrkreuz, der Kommandantenstander.

Der "Alte" mit 36

Seit 2011 ist Moritz Kommandant. "Ich bin nicht wegen des Films "Das Boot" hier, aber viele an Bord reizt der Mythos", sagt er. Wird er wie der Kommandant bei Buchheim "der Alte" genannt? Grinsend antwortet der Erste Wachoffizier, der 31-jährige Kapitänleutnant Steffen Worthmann: "Wir sagen "Herr Kapitän", "Chef" oder - wenn er nicht da ist - auch mal "der Alte"."

"Der Alte" erklärt Sinn und Zweck des bevorstehenden Manövers an der US-Ostküste. "Die Amerikaner wollen die Sicherheit ihrer Flugzeugträger überprüfen und unser Ziel ist es zu üben, einen Flugzeugträger zu bekämpfen." U 32 wird ein neues Sonar erproben. "Meine Hoffnung ist, dass wir unsere Taktiken weiterentwickeln können und neue Erkenntnisse gewinnen, wie leise wir wirklich sind."

"Die Frau muss schon mitspielen"

Nach seiner Einschätzung ist die A 212-Klasse mit passivem Sonar, also wenn nur auf die Eigengeräusche des U-Bootes geachtet wird, nicht zu orten. Anders ist es mit aktivem Sonar, über das Zerstörer verfügen: Strahlung wird ausgesendet und von einem Körper wie einem U-Boot zurückgestrahlt.

"Wir haben aber beim aktiven Sonar einen großen Vorsprung, weil wir das Schiff, von dem es ausgeht, früher bemerken. Dann würde sich im Ernstfall die Frage stellen, ob man als erster zu Kampfmaßnahmen greift, also Torpedos abschießt."

Rund 150 bis 180 Tage im Jahr ist Moritz auf See unterwegs. Er ist verheiratet, der Sohn wird im März ein Jahr alt - "die Frau muss schon mitspielen", sagt Moritz. Die aktive Zeit eines U-Boot-Kommandanten ist in der Regel auf ein paar Jahre begrenzt, andere wollen nachrücken.

"In der Deutschen Marine gibt es mehr Admirale als aktive U-Boot-Kommandanten, schreiben Sie das ruhig." Beim Blick über die Ostsee lässt sich "der Alte" auf dem Turm Zeit, bis er die Frage, was ihm der Dienst als Kommandant bedeutet, beantwortet: "Ich kann mir einen schöneren Beruf nicht vorstellen."

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